Vektorraum

Ein Vektorraum ist eine mathematische Struktur in der linearen Algebra, die in allen Bereichen der Mathematik Anwendung findet.

Definition

Ein Vektorraum über dem Körper $K$ oder auch $K$-Vektorraum ist ein Tripel $[V,+,\cdot]$, bestehend aus einer Menge $V$, einer auf ihr definierten inneren zweistelligen Verknüpfung $"+"$ (die auch "Vektoraddition" oder "Addition" genannt wird) und einer äußeren zweistelligen Verknüpfung $"\cdot"$ (auch "Skalarmultiplikation" genannt) auf $V$. Genauer gilt:
Ein $K$-Vektorraum ist ein Tripel $[V,+,\cdot]$ mit den beiden Verknüpfungen $+:V\times V\to V$ und $\cdot:K\times V\to V$, sodass gilt:

(1)
\begin{align} &\forall u,v,w\in V & & : & & (u+v)+w=u+(v+w) \cr &\exists 0\in V\quad\forall v\in V & & : & & v+0=0+v=v\cr &\forall v\in V\quad\exists (-v)\in V & & : & & v+(-v)=0 \cr &\forall u,v\in V & & : & & u+v=v+u\cr &\forall k\in K\quad \forall u,v\in V & & : & & k\cdot (u+v)=k\cdot u+k\cdot v\cr &\forall k,l\in K\quad \forall v\in V & & : & & (k+l)\cdot v=k\cdot v+l\cdot v\cr &\forall k,l\in K\quad \forall v\in V & & : & & (kl)\cdot v=k\cdot (l\cdot v)\cr &\forall v\in V & & : & & 1\cdot v=v. \end{align}

$[V,+]$ ist also eine abelsche Gruppe und desweiteren gelten noch die beiden Distributivgesetze sowie das Assoziativgesetz für die Skalarmultiplikation und die Gleichung $1\cdot v=v$ für alle $v\in V$.
Die Skalarmultiplikation wird anstelle von $k\cdot v$ oft auch verkürzt geschrieben als $kv$. Die Elemente von $V$ werden auch als Vektoren bezeichnet, die von $K$ auch als Skalare.
Die Addition mit dem additiven Inversen bezeichnet man auch als Differenz und schreibt

(2)
\begin{equation} u+(-v)=u-v. \end{equation}

Die Menge $V$ wird oft auch selbst als Vektorraum bezeichnet, falls klar ist, welche Verknüpfungen als Addition und Skalarmultiplikation gegeben sind.

Abschwächung der Axiome

Satz: Sei $K$ ein Körper. Ein Tripel $[V,+,\cdot]$ mit den beiden Verknüpfungen $+:V\times V\to V$ und $\cdot:K\times V\to V$ ist genau dann ein Vektorraum, wenn gilt:

(3)
\begin{align} &\forall u,v,w\in V & & : & & (u+v)+w=u+(v+w) \cr &\exists 0\in V\quad\forall v\in V & & : & & v+0=v\cr &\forall v\in V\quad\exists (-v)\in V & & : & & v+(-v)=0 \cr &\forall k\in K\quad \forall u,v\in V & & : & & k\cdot (u+v)=k\cdot u+k\cdot v\cr &\forall k,l\in K\quad \forall v\in V & & : & & (k+l)\cdot v=k\cdot v+l\cdot v\cr &\forall k,l\in K\quad \forall v\in V & & : & & (kl)\cdot v=k\cdot (l\cdot v)\cr &\forall v\in V & & : & & 1\cdot v=v. \end{align}

Beweis: Wir müssen natürlich nur die Rückrichtung beweisen. Zunächst stellen wir fest, dass $+$ auf $V$ wegen der ersten drei Eigenschaften eine assoziative Verknüpfung mit rechtsneutralem Element ist, für die außerdem zu jedem Element von $V$ auch ein Rechtinverses existiert. Wegen dieses Satzes ist damit $(V,+)$ eine Gruppe. Wir müssen nun nur noch die Komutativität der Vektoraddition nachweisen. Seien dazu $u,v\in V$ zwei beliebige Elemente. Benutzen wir vorgreifend die Rechenregeln aus dem nächsten Abschnitt (man vergewissere sich davon, dass wir beim Beweis der unten angegebenen Rechenregeln nirgendwo die Kommutativität der Vektoraddition benutzt haben!), so gilt:

(4)
\begin{align} u+v&=0+(u+v)=\big[(-u)+u\big]+(u+v)=\Big((-u)+\big[u+(u+v)\big]\Big)\cr &\Big((-u)+\big[u+(u+v)\big]\Big)+0\cr &=\Big((-u)+\big[(u+u)+v\big]\Big)+\big[v+(-v)\big]\cr &=\bigg[\Big((-u)+\big[(u+u)+v\big]\Big)+v\bigg]+(-v)\cr &=\bigg[(-u)+\Big(\big[(u+u)+v\big]+v\Big)\bigg]+(-v)\cr &=\Big((-u)+\big[(u+u)+(v+v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\Big((-u)+\big[(1\cdot u+1\cdot u)+(1\cdot v+1\cdot v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\Big((-u)+\big[(1+1)\cdot u+(1+1)\cdot v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\big[(-u)+(1+1)\cdot (u+v)\big]+(-v)\cr &=\Big((-u)+\big[1\cdot(u+v)+1\cdot(u+v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\Big((-u)+\big[(u+v)+(u+v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\bigg[(-u)+\Big(u+\big[v+(u+v)\big]\Big)\bigg]+(-v)\cr &=\Big(\big[(-u)+u\big]+\big[v+(u+v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\Big(0+\big[v+(u+v)\big]\Big)+(-v)\cr &=\big[v+(u+v)\big]+(-v)\cr &=\big[(v+u)+v\big]+(-v)\cr &=(v+u)+\big[v+(-v)\big]\cr &=(v+u)+0\cr &=v+u.\cr \end{align}

Mit dem allgemeinen Assoziativgesetz und dem gleichzeitigen Durchführen einiger Schritte kann man dies natürlich etwas kürzer auch so schreiben:

(5)
\begin{align} &u+v=0+u+v+0=(-u)+u+u+v+v+(-v)=(-u)+(1+1)\cdot u+(1+1)\cdot v+(-v)\cr &=(-u)+(1+1)\cdot (u+v)+(-v)=(-u)+1\cdot (u+v)+1\cdot (u+v)+(-v)\cr &=(-u)+u+v+u+v+(-v)=0+v+u+0=v+u. \end{align}

Rechenregeln

Aus der Definition ergeben sich folgende Rechenregeln für beliebige $k,l\in K$ und $u,v,w\in V$:

(6)
\begin{align} &(1)\qquad 0\cdot v=0\cr &(2)\qquad k\cdot 0=0\cr &(3)\qquad -v=(-1)v\cr &(4)\qquad -(-v)=v\cr &(5)\qquad -(kv)=(-k)v=k(-v)\cr &(6)\qquad kv=0\quad\Rightarrow\quad k=0\ \vee\ v=0\cr &(7)\qquad u+x=v\quad \Leftrightarrow\quad x=v-u\cr &(8)\qquad y+v=w\quad\Leftrightarrow\quad y=w-v. \end{align}

Beweis: Der Reihe nach gilt:
(1):

(7)
\begin{align} &0\cdot v=0\cdot v+0=0\cdot v+(0\cdot v-0\cdot v)=(0\cdot v+0\cdot v)-0\cdot v\cr &=(0+0)\cdot v-0\cdot v=0\cdot v-0\cdot v=0, \end{align}

(2):

(8)
\begin{align} &k\cdot 0=k\cdot 0+0=k\cdot 0+(k\cdot 0-k\cdot 0)=(k\cdot 0+k\cdot 0)-k\cdot 0\cr &=k\cdot (0+0)-k\cdot 0=k\cdot 0-k\cdot 0=0, \end{align}

(3):

(9)
\begin{align} &-v=(-v)+0=(-v)+0\cdot v=(-v)+(1+(-1))\cdot v=(-v)+(1\cdot v+(-1)\cdot v)\cr &=((-v)+v)+(-1)\cdot v=0+(-1)\cdot v=(-1)\cdot v, \end{align}

(4):

(10)
\begin{equation} -(-v)=(-(-v))+0=(-(-v))+((-v)+v)=((-(-v))+(-v))+v=0+v=v, \end{equation}

(5):

(11)
\begin{align} -(kv)=(-1)\cdot (kv)=((-1)\cdot k)v=(-k)\cdot v=(k\cdot (-1))v=k\cdot ((-1)v)=k\cdot (-v), \end{align}

(6):
Ist $k\neq 0$, so folgt:

(12)
\begin{align} v=1\cdot v=(k^{-1}k)v=k^{-1}\cdot (kv)=k^{-1}\cdot 0=0. \end{align}

Die Regeln (7) und (8) folgen aus diesem Satz über Gruppen.

Untervektorräume (Unterräume)

Das Tripel $[U,+,\cdot]$ mit $U\subseteq V$ heißt Untervektorraum oder auch einfach nur (linearer) Unterraum des $K$-Vektorraums $[V,+,\cdot]$, falls $U$ zusammen mit der Vektoraddition und Skalarmultiplikation von $V$ selbst wieder ein $K$-Vektorraum ist. D.h., dass das Tripel $[U,+,\cdot]$ wieder ein $K$-Vektorraum sein muss.
Analog zum Vektorraum wird die Menge $U$ auch einfach selbst Unterraum genannt, falls klar ist, von welchem Vektorraum $[V,+,\cdot]$ das Tripel $[U,+,\cdot]$ ein Unterraum ist.

Es gilt das folgende Unterraumkriterium:

$U\subset V$ ist genau dann Unterraum, wenn für alle $k\in K$ und für alle $u,v\in V$ gilt:

(13)
\begin{align} &(1)\quad 0\in U\cr &(2)\quad u,v\in U\Rightarrow u+v\in U\cr &(3)\quad v\in U\Rightarrow kv\in U. \end{align}

Die erste Bedingung kann auch durch $U\neq\varnothing$ ersetzt werden.
Jeder Vektorraum $V$ besitzt mindestens die Unterräume $V$ und $\{0\}$.

Es gilt außerdem:
Der Schnitt von beliebig vielen Unterräumen von $V$ ist wieder ein Unterraum von $V$.
Die für $n$ Unterräume $U_1,\ldots,U_n$ durch

(14)
\begin{align} U_1+\ldots+U_n=\sum_{k=1}^n~U_k=\left\{\left.\sum_{k=1}^n~u_k=u_1+\ldots+u_n\ \right|\ u_i \in U_i\right\} \end{align}

definierte sogenannte Summe der Unterräume $U_1,\ldots,U_n$ ist ebenfalls wieder ein Unterraum.

Linearkombination von Vektoren

Für $n$ Vektoren $v_1,\ldots,v_n$ des $K$-Vektorraums $V$ und $n$ Skalare $k_1,\ldots,k_n\in K$ heißt

(15)
\begin{align} k_1v_1+k_2v_2+\ldots+k_nv_n=\sum_{i=1}^n~k_iv_i \end{align}

eine Linearkombination der Vektoren $v_1,\ldots,v_n$. Die Linearkombination

(16)
\begin{align} 0v_1+\ldots+0v_n=\sum_{i=1}^n~0v_i=0 \end{align}

heißt auch die triviale Linearkombination dieser Vektoren. Ist $\mathcal A=(v_i)_{i\in I}$ ($I$-Indexmenge) ein beliebiges System von Vektoren (bzw. $A\subset V$ eine beliebige Menge von Vektoren) aus $V$, so ist eine Linearkombination der Vektoren aus diesem System (bzw. dieser Menge) gegeben durch die Linearkombination von endlich vielen Vektoren des Systems (bzw. der Menge).

Die lineare Hülle

Sei $\mathcal A$ wieder ein beliebiges System von Vektoren des $K$-Vektorraums $V$. Die lineare Hülle oder das Erzeugnis von $\mathcal A$ wird als $\langle \mathcal A\rangle$ geschrieben und ist die Menge aller Linearkombinationen von Vektoren aus $\mathcal A$. Sie ist also definiert durch

(17)
\begin{align} \langle \mathcal A\rangle=\left\{\left.\sum_{i=1}^n~k_iv_i\ \right|\ k_i\in K,\quad v_i\text{ sind Vektoren des Systems }\mathcal A\right\}. \end{align}

Für eine Menge $A\subset V$ ist ihre lineare Hülle definiert durch $\langle A\rangle=\langle \mathcal A\rangle$, wobei $\mathcal A=(v)_{v\in\mathcal A}$ ist.
Für $A=\varnothing$ wird $\langle A\rangle=\{0\}$ definiert. Für jedes $A\subset V$ ist $\langle A\rangle$ ein Unterraum von $V$, und zwar der kleinste Unterraum, der $A$ enthält. D.h.: Für jeden Unterraum $U\subset V$ mit $A\subset U$ folgt $\langle A\rangle\subset U$. Daraus folgt außerdem die folgende Darstellung, wobei $U$ ein Unterraum von $V$ bedeutet:

(18)
\begin{align} \langle A\rangle=\bigcap_{A\subset U}U. \end{align}

Erzeugendensystem eines Vektorraums

Eine System $\mathcal A=(v_i)_{i\in I}$ von Vektoren aus $V$ heißt Erzeugendensystem von $V$, falls durch die Vektoren von $\mathcal A$ der gesamte Vektorraum $V$ erzeugt wird, falls also das Erzeugnis von $\machcal A$ gleich $V$ ist:

(19)
\begin{align} \langle \mathcal A\rangle=V. \end{align}

In diesem Fall lässt sich jeder Vektor aus $V$ als eine Linearkombination von Vektoren aus $\mathcal A$ darstellen. Eine Menge $A\subset V$ nennt man ebenfalls Erzeugendensystem, falls das System $(v)_{v\in A}$ ein Erzeugendensystem ist.
Ein Erzeugendensystem wird endlich (unendlich) genannt, falls es nur endlich (unendlich) viele Elemente besitzt.

Man nennt einen Vektorraum $V$ auch endlich erzeugt, falls es ein endliches Erzeugendensystem von $V$ gibt. Entsprechend heißt $V$ nicht endlich oder unendlich erzeugt, falls jedes Erzeugendensystem von $V$ unendlich viele Elemente besitzt.

Lineare Unabhängigkeit

Hauptartikel: Lineare Unabhängigkeit

Die $n$ Vektoren $v_1,\ldots,v_n$ des $K$-Vektorraums $V$ heißen linear unabhängig, wenn für $k_1,\ldots,k_n\in K$ gilt:

(20)
\begin{align} k_1v_1+\ldots+k_nv_n=0\quad \Rightarrow\quad k_1=\ldots=k_n=0. \end{align}

Man nennt dann die Menge $\{v_1,\ldots,v_n\}$ und das System $(v_1,\ldots,v_n)$ der Vektoren ebenfalls linear unabhängig. Auch die leere Menge wird als linear unabhängig definiert.
Eine beliebige (nicht notwendigerweise endliche) Menge $A\subset V$ (bzw. ein nicht notwendigerweise endliches System $(v_i)_{i\in I}$ von Vektoren) heißt linear unabhängig, falls jede endliche Teilmenge von $A$ (bzw. jedes endliche Teilsystem von $(v_i)_{i\in I}$) linear unabhängig ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Menge $A\subset V$ bzw. ein System $\mathcal A$ ist linear unabhängig genau dann, wenn der Nullvektor sich nur durch die triviale Linearkombination aus Elementen von $A$ bzw. $\mathcal A$ darstellen lässt.
Eine Menge $A\subset V$ (ein System $\mathcal A$) heißt linear abhängig, falls sie (es) nicht linear unabhängig ist.

Basis eines Vektorraums

Hauptartikel: Basis eines Vektorraums

Das System $\mathcal B$ (die Menge $B\subset V$) heißt Basis des Vektorraums $V$, falls $\mathcal B$ ($B$) ein linear unabhängiges Erzeugendensystem ist. Alle Basen ein und desselben Vektorraums besitzen gleich viele Elemente, d.h. sind die Mengen $B_1$ und $B_2$ zwei Basen von $V$, dann sind die beiden Mengen $B_1$ und $B_2$ gleichmächtig.
Eine Basis heißt endlich (unendlich), wenn sie endlich (unendlich) viele Elemente besitzt.

Es gilt folgender essentieller Satz:

Jeder Vektorraum besitzt mindestens eine Basis.

Dimension eines Vektorraums

Hauptartikel: Dimension eines Vektorraums

Aufgrund der letzten Aussage im Abschnitt über Basen eines Vektorraums kann man die sogenannte Dimension eines $K$-Vektorraums $V$ definieren:
Besitzt $V$ eine endliche Basis mit $n$ Elementen, so bezeichnet man $n$ als die Dimension von $V$ und schreibt:

(21)
\begin{align} \dim_KV=n. \end{align}

Gibt es keine endliche Basis in $V$, so sei die Dimension $\infty$:

(22)
\begin{align} \dim_KV=\infty. \end{align}

Nun kann man sagen: Jede Basis von $V$ besitzt $\dim_KV$ Elemente.
Anstelle von $\dim_KV$ schreibt man auch einfach $\dim V$.

Jede Basis eines endlich (unendlich) erzeugten Vektorraums ist ebenfalls endlich (unendlich). In diesem Fall nennt man $V$ auch endlich-dimensional (unendlich-dimensional).

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